01.09.2018 - Zum Patrozinium St. Bartholomäus in Lohmar-Wahlscheid

Der Apostel und spätere Wanderprediger Bartholomäus erinnert uns an das, was er durch sein Leben angestoßen hat: Er tat gelegen oder ungelegen auf seinem Weg den Mund auf gegen Ungerechtigkeit - mit der Konsequenz, als Märtyrer zu sterben.

Festpredigt von Diakon Ralf Schwenk

Wahrscheinlich erwarten Sie jetzt eine Predigt, die sich ausschließlich auf die Inhalte der heutigen Lesungen bezieht. Aber aufgrund der Tatsache, dass es aktuell innerhalb wie auch außerhalb der Kirche Probleme und Unzulänglichkeiten gibt, die es anzusprechen gilt, bitte ich um Verständnis, dass dies heute nicht passiert, denn die Ernsthaftigkeit der Situation erfordert es, zu aktuellen Themen Stellung zu nehmen bzw. Klartext zu reden.

Ja vielleicht ist das unerhört, aber es gibt auch vieles in der Kirche, was in der Vergangenheit nicht gehört wurde und das endlich ein Gesicht bekommt.

Und auch in unserer Gesellschaft gibt es Unerhörtes, das benannt werden muss. Doch zuerst zu dem, was ich zur Kirche zu sagen habe. Einige kurze Ausschnitte aus dem Brief von Papst Franziskus, den er am 20.08.2018 veröffentlichte und der an alle Christen gerichtet ist, zeigt, wo die Kirche derzeit steht. Ich spreche vom Missbrauchsskandal, der mit gewaltiger Macht die Kirche jetzt auch in den USA eingeholt hat und den auch wir hier in Deutschland zwar begonnen haben aufzuarbeiten, aber noch längst nicht überwunden haben. So schreibt Papst Franziskus in seinem Brief an das ganze Volk Gottes als Reaktion auf die von der amerikanischen Staatsanwaltschaft vorgelegten Untersuchungsergebnisse zum Missbrauch durch rund 1000 Priester in den letzten 70 Jahren gegenüber Schutzbefohlenen:

„Wie viel Schmutz gibt es in der Kirche und gerade auch unter denen, die im Priestertum ihm ganz zugehören sollten? Wie viel Hochmut und Selbstherrlichkeit?“

Da die Kirche jedoch nicht nur aus Priestern besteht, bezieht Franziskus das ganze Volk Gottes in die Vorgänge mit ein. “Wenn ein Glied des Leibes leidet, leidet der ganze Leib“. Und so schreibt er an weiterer Stelle:

„Es ist unmöglich, sich eine Umkehr des kirchlichen Handelns vorzustellen ohne die aktive Teilnahme aller Glieder des Volks Gottes. Mehr noch: Jedes Mal, wenn wir versucht haben, das Volk Gottes auszustechen, zum Schweigen zu bringen, zu übergehen oder auf kleine Eliten zu reduzieren, haben wir Gemeinschaften, Programme, theologische Entscheidungen, Spiritualitäten und Strukturen ohne Wurzeln, ohne Gedächtnis, ohne Gesicht, ohne Körper und letztendlich ohne Leben geschaffen. Das zeigt sich deutlich in einer anomalen Verständnisweise von Autorität in der Kirche – sehr verbreitet in zahlreichen Gemeinschaften, in denen sich Verhaltensweisen des sexuellen Missbrauchs wie des Macht- und Gewissensmissbrauchs ereignet haben –, nämlich als Klerikalismus, jene Haltung, die nicht nur die Persönlichkeit der Christen zunichte macht, sondern dazu neigt, die Taufgnade zu mindern und unter zu bewerten, die der Heilige Geist in das Herz unseres Volkes eingegossen hat. Der Klerikalismus, sei er nun von den Priestern selbst oder von den Laien gefördert, erzeugt eine Spaltung im Leib der Kirche, die dazu anstiftet und beiträgt, viele der Übel, die wir heute beklagen, weiterlaufen zu lassen. Zum Missbrauch Nein zu sagen, heißt zu jeder Form von Klerikalismus mit Nachdruck Nein zu sagen.“ - Soweit Papst Franziskus.

Nun kann man natürlich weiter auf dieser Schiene fahren und den Fehler machen, Kirche als Ganzes zu verdammen, was der Sache allerdings weder dienlich noch gerecht wäre, denn es gibt wohl auch innerkirchliche Reaktionen, die gewertet werden müssen, wo auf das verursachte Leid in entsprechender Form reagiert wird und auch präventive Maßnahmen verbindlich vorgeschrieben wurden, so dass sich kein Mitarbeiter der Kirche – ob Haupt-, Neben- oder Ehrenamtliche entziehen kann.

Besonders in unserem Kölner Bistum sind wir mit den mittlerweile standardisierten Maßnahmen sehr weit fortgeschritten. Dennoch ist es erforderlich, nicht aufzuhören Augen und Ohren offen zu halten, denn dieses schlimme Geschehen darf keine noch so kleine und geringe Wiederholung erfahren. Und nur damit es nicht unter den Tisch fällt, ja es ist besonders schlimm, wenn Missbrauch in der Kirche durch Priester geschieht, aber es sind auch sonstige kirchliche Mitarbeiter, die sich schuldig gemacht haben. Es geht darum, all das im Blick zu haben. Und da auch Kirche nur ein repräsentativer Durchschnitt unserer Gesellschaft ist, ist es geboten auch außerhalb der Kirche Augen und Ohren offen zu halten. Missbrauch gibt es quer durch alle Schichten unserer Gesellschaft.

Was uns zum zweiten Punkt führt, den ich heute ansprechen möchte. Unsere Gesellschaft treibt ständig auseinander. Und angesichts der Vorfälle in Chemnitz vom vergangenen Wochenende ist auch hier die Frage zu stellen, wo sich unsere Gesellschaft befindet. Welcher Weg ist der richtige, den wir zu gehen haben? Gewalt, Rassismus, Ausgrenzung, die Schere zwischen arm und reich; nur einige Punkte, die uns derzeit beschäftigen und angesichts derer sich genügend selbsternannte Heilsbringer, sogenannte Volksvertreter rechter oder linker Randgruppen zu den Rettern unserer Gesellschaft ernennen, deren Ziel es in keinem Falle ist, ein christliches Menschenbild zu vertreten, sondern ebenso Macht und Unterdrückung auszuüben und Menschen zweiter oder gar dritter Klasse zu erschaffen um dann ihre Vorherrschaft zu weiterem Unheil der ihnen dann unterlegenen und klassifizierten Menschen auszunutzen.

Hier sind wir gefordert, sowohl dem rechten als auch dem linken Spektrum eine klare Absage zu erteilen. Und dies beginnt schon im Kleinen etwa damit, dass ich mir in den sozialen Medien nicht gefallen lasse, wenn mir jemand rechts – oder links motivierte Aussagen zu postet, deren Wahrheitsgehalt oft eh nur gleich Null tendieren.

Gewalt als Mittel, die eigene Meinung zu Gehör zu bringen, ist nicht rechtens und auch unsere Demokratie in Frage zu stellen, ist falsch. Ob wir nun mit der Politik der Gewählten immer einverstanden sind oder nicht, wir haben ja unsere Wählerstimme, die wir entsprechend einsetzen können und jeder und jede von uns hat die Freiheit, sich politisch zu betätigen. Wir alle sind gefordert, zu zuhören und zu diskutieren - nicht jedoch auf den anderen einzuschlagen. 

Angesichts dessen lohnt sich dann der Blick auf das heutige Evangelium (Mk.7,1-8.14-15.21-23). Genau betrachtet, geht es nämlich eben nicht um eine wie auch immer geforderte Reinigung der Gesellschaft (was manche damit gleichsetzen, Ausländer und Migranten als unerwünscht oder gar noch schlimmer zu bewerten) sondern darum, dass Gott schlicht und einfach in unsere Herzen sieht und den Menschen nach seinem Inneren und nicht Äußeren bewertet.

Hier treffen die beiden Unerhörtheiten, von denen ich heute spreche, zusammen.

Achten wir gut aufeinander, achten wir nicht auf die Äußerlichkeiten, auf das, was wir glauben zu sehen und damit schon beurteilen zu können. Achten wir auf die kleinen Signale und währen dort den Anfängen wo Liebe in Hass, Freundschaft in Bosheit und Verantwortung in Abhängigkeit münden.

Ich gehe davon aus, dass Sie alle angesichts dieser Entwicklungen die Notwendigkeit sehen, in aller Klarheit Missstände aufzudecken und nicht totzuschweigen.

Ich möchte aber nicht enden, ohne auch darauf aufmerksam zu machen, dass sowohl in der Kirche wie auch in der Gesellschaft viel Gutes getan wird, dass nicht das Negative schmälert und auch nicht dazu führen soll, sowohl der Kirche als auch der Gesellschaft einfach den Rücken zu kehren und nach Vogel-Strauß-Manier den Kopf in den Sand zu stecken.

Jeder von uns ist gefordert, seinen Beitrag zur Kirche und Gesellschaft zu leisten - und das im Sinne des Evangeliums.

 

Diakon Ralf Schwenk